Großbottwar - Martinskirche
Informationen
In der Kirche liegt ein schön gestaltetes Faltblatt aus mit kleinen Farbfotografien:
MARTINSKIRCHE GROSSBOTTWAR
Ort der Einkehr und des Gebets Ein kurzer geschichtlicher Überblick
Zusammengestellt von Ulrich Löffler und Markus Pantle (Sept. 2007)
550-600: Das westlich der Kleinen Bottwar gelegene alemannische Dorf Bottwar erhält zur Zeit der fränkischen Landnahme eine dem Frankenheiligen Martin geweihte Kirche. Das sicherlich sehr schlichte Holzgebäude wird auf dem Platz errichtet, auf dem auch die heutige Kirche steht.
779: In einer Schenkungsurkunde wird das Dorf um die Kirche mit dem latinisierten Namen boteburon erstmals erwähnt.
1247-1279: Im östlichen Mündungsdreieck zwischen Kleiner Bottwar und Bottwar beginnen die Herren von Lichtenberg irgendwann zwischen 1247 und 1279 mit der Anlage einer befestigten Stadt. Ihr latinisierter Name Bothebur taucht in einer Urkunde vom 5. Mai 1279 erstmals auf. In derselben Urkunde wird zum ersten Mal in der Geschichte auch die Martinskirche erwähnt. In Unterscheidung zu der innerhalb der Stadtmauern erbauten neuen Allerheiligenkirche, der Hauptkirche der Stadt, wird sie als "die ältere Kirche" bezeichnet. Dies bedeutet: Die damals ältere und kleinere Martinskirche ist weiterhin die Kirche für das außerhalb der Stadtbefestigung verbliebene Dorf Bottwar. Und: Sie ist älter als die Stadt! Der massige Turmsockel, zweifellos der älteste noch erhaltene Teil der Kirche deutet auf eine Erbauungszeit während der spätromanischen Epoche, etwa um die Wende des 12. zum 13. Jahrhunderts hin.
1495: Eine Lageskizze, aus Anlass der ersten Umbaumaßnahmen gefertigt, zeigt einen Steinbau vom Typ der seinerzeit weit verbreiteten romanischen Ostchorturmkirchen, deren Schiff stets nur wenig breiter war als der Turm. Die Kirche ist von einem ummauerten Kirchhof umgeben, in dem auch Fruchtvorratshäuser zu sehen sind, sogenannte Gaden. Man vergrößert 1495 das Kirchenschiff im Grundriss auf die heute noch bestehenden Außenabmessungen. Der Turmaufsatz erhält die jetzige Form. Im Chor baut man außer den gotischen Fenstern auch ein Netzrippengewölbe ein, dessen drei Schlusssteine Maria mit dem Kind zeigen sowie die Kirchenpatrone St. Martin und St. Leonhard. Schließlich wird noch eine Sakristei mit Kreuzgewölbe und Strebepfeiler angefügt. - Nach dem Umbau übernimmt die Martinskirche zunehmend die Funktion der Hauptkirche, während die nunmehr kleinere Stadtkirche nur noch als Frühmesskapelle dient.
1570/80: Der heutige Kuzifixus wird angebracht.
1596: Einbau der ersten Orgel; Verfertiger: Michael Schmied, Stuttgart.
1.Hälfte 18.Jh.: Der bisherige Kirchhof wird aufgegeben. Außerhalb der damaligen Besiedlung wird im Bereich der während des 30-jährigen Krieges zerstörten Frauenkirche ein Friedhof angelegt. Die Großbottwarer Familien Kapf und Dachröden lassen in der Martinskirche Epitaphe aufstellen bzw. anbringen.
Inhalt
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1791/92: In der Übergangszeit vom Barock zum Klassizismus werden Kirchenschiff mit Emporen sowie Kanzel und Sakristei neu erbaut. Die Kirche erhält wenige Jahre danach eine neue, auf die Räumlichkeiten genau abgestimmte Orgel des Orgelbaumeisters Weinmar. Seit diesem Umbau hat sich die Kirche äußerlich kaum mehr verändert.
1897. Mittels zweier Eisenöfen kann das Schiff neuerdings beheizt werden.
1906. Die Kirche wird ans Stromnetz angeschlossen. Beleuchtung und Antrieb des Orgelmotors werden auf Elektrizität umgestellt.
1957: Gründliche Renovierung des Schiffes, wobei auch ein neues Gestühl mit Bankheizung in veränderter Aufstellung eingebaut wird. Der Altar wandert vom Schiff in den Chorraum.
1972: Die Weinmar-Orgel wird überholt.
1976: Innensanierung. Die Farben an den Wänden und am Netzgewölbe werden sorgfältig aufgefrischt. Marmorierung der Säulen und der Emporenbrüstung.
1987/88: Gründliche Überholung und Renovierung der Kirche von außen. Das völlig erneuerte Kirchturmdach erhält eine neue vergoldete Kugelspitze.
2000: Innensanierung. Farbanstrich an der Decke, Erneuerung der Elektroinstallation und neue Beschallungsanlage, Restaurierung der beiden Epitaphe.
Links
Auf der Website der Kirchgemeinde finden sich umfangreiche Informationen zur Geschichte der Martinkirche.
Informationen auf www.kirchbau.de
Video: Glocken der Martinskirche
Buch-Empfehlung
Ulrich Zimmermann
Die Predigtkirche und die Querkirche - Protestantischer Kirchenbau in Württemberg. Eine Studie zur Geschichte und Theologie des Kirchen-raums und zur Entstehung zweier Kirchenbautypen.
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1 · Außen
2 · Innen
3 · Konsolen- und Schlußsteine
4 · Orgel
Orgel-Disposition
I. Manual Hauptwerk C-g"' |
II. Manual Schwellwerk C-g'" |
Pedal C-f |
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1. Bordun 16' |
11. Salicional 8' |
22. Subbaß16'- alt |
Das Haupt- und Schwellwerk verfügt über einen Tremulanten, eine Vorrichtung die den Luftstrom periodisch variiert. |
Koppeln: II/I, I/P, II/P, II/P-4'. |
Vorbereitungen für den Einbau einer elektron. Setzeranlage. |
Informationen zum Instrument
Die Disposition der neuen Orgel:
Die Orgel ist mit 27 Register und 1.356 Pfeifen ausgestattet, jedes Register der Manuale I + II mit 56 Pfeifen, das Pedalwerk verfügt über 30 Pfeifen pro Register.
Geschichte der Orgel der Martinskirche
Großbottwar gehörte zu den ganz wenigen Kleinstädten Nordwürttembergs, die im 16. Jahrhundert bereits eine Orgel besaßen. Das Instrument in der Martinskirche wurde 1596-97 durch Orgelmacher Michael Schmid aus Stuttgart gebaut. Einhundert Jahre später, nämlich 1697-98 musste die Orgel von Johann Michael Schmahl aus Heilbronn erheblich repariert werden, da sie bei dem frantzösischen Ein- und Überfall anno 1693 gänzlich ruiniret worden war. 1759 erfolgte eine weitere Reparatur dieser Orgel, wer sie ausführte, ist jedoch unbekannt. 1791 baute Johannes Weinmar aus Bondorf zusammen mit seinem Sohn Johann Jakob Weinmar eine neue Orgel, deren Rokoko-Prospektfront noch heute erhalten ist. Sie hatte 12 Register auf einem Manual und Pedal und kostete 860 Gulden. Für die Zeit der Aufstellung hatte die Gemeinde dem Orgelbauer das Logis im Wirtshaus zu stellen. Nach einem Jahr stimmte Weinmar die Orgel nochmals kostenfrei nach.
Johann Weinmar hatte, wie Hoforganist Stierlin aus Stuttgart 1775 berichtete, den Ruf eines erprobten, geschickten Mannes, der schon verschiedene tüchtige Orgelwerke in- und außerhalb des Landes lieferte . Die Tatsache, dass von 16 nachgewiesenen Orgeln Johann Weinmars die verhältnismäßig hohe Zahl von mindestens elf Prospekten erhalten geblieben ist, lässt auf die besonders hohe künstlerische Qualität dieser Arbeiten schließen.
1803 wurde das Großbottwarer Instrument durch Schreiner Waltz aus Tübingen repariert, da in hiesiger Gegend sich kein Orgelmacher aufhält und einen von Stuttgart oder Cannstatt zu bestellen die Zeit nicht erlaubt hätte und zu kostspielig gewesen wäre.
Es kann als sicher gelten, dass das Instrument im Laufe des 19. Jahrhunderts dann noch mehrfach repariert und auch verändert worden ist, vermutlich durch Eberhard Friedrich Walcker aus Cannstatt (später Ludwigsburg), Andreas Martin Laukhuff aus Pfedelbach oder Joh. Heinrich Schäfer aus Heilbronn.
1933 baute die Firma E. F. Walcker & Cie. aus Ludwigsburg wiederum ein neues Instrument. Die Gehäusefront Weinmars von 1791 wurde dabei wieder verwendet, das Gehäuse selbst jedoch in der Tiefe bedeutend erweitert. Die Orgel hatte 24 klingende Stimmen auf zwei Manualen und Pedal mit Taschenladen und elektropneumatischen Trakturen. Der Spieltisch war freistehend; das zweite Manual befand sich in einem Schwellkasten.
1972 wurde nochmals erneuert, wobei die Prospektfront und das Gehäuse von 1791 sowie der Schwellkasten und ein Großteil des Pfeifenwerkes von 1933 übernommen wurden, während man die Windladen und das Pfeifenwerk von Zulieferfirmen bezog. Die farbliche Restaurierung und Neufassung der Prospektfront und des Gehäuses führte Restaurator Horst Wengerter aus Besigheim durch.
Das Orgelprojekt wurde in der Kirchengemeinde kontrovers diskutiert und alternativ die Beschaffung eines elektronischen Instrumentes erwogen. In einer Basisabstimmung aller Gemeindemitglieder wurde dann mit knapper Mehrheit zugunsten einer Pfeifenorgel entschieden, hier allerdings für das mit großem Abstand billigste Angebot.
Vor diesem Hintergrund waren der jüngste Zustand des Instrumentes und seine Beurteilung unbedingt einzuordnen, ebenso der überdurchschnittlich hohe Anteil von wieder verwendeten Altteilen und Pfeifen, welcher damals eine weitere Kostenersparnis ausmachte. So konnte es geschehen, dass die beauftragte Orgelbaufirma, ohne besondere fachliche Bauaufsicht, eine Orgel zusammenbaute, welche hinsichtlich Konstruktion, Ausführungsqualität und Material ausschließlich am vorgelegten Tiefstpreis orientiert war.
Die Folgen zeigten sich bereits nach knapp 20 Jahren: Bereits nach der ersten Untersuchung im November 1990 musste der Unterzeichner als inzwischen zuständiger Orgelberater der Kirchengemeinde leider mitteilen, dass die Orgel kirchenmusikalischen wie orgelbautechnischen Mindestansprüchen hinsichtlich Klangaussage, Handhabung und Betriebssicherheit in keiner Weise gerecht zu werden vermochte.
Nach einer weiteren Untersuchung im April 2008 musste im Gutachten auf die äußerst mangelhafte Qualität sowohl von Planung und Konstruktion, als auch der handwerklichen Ausführung hingewiesen werden. Nahezu alle Bauteile, die nicht von Zulieferfirmen bezogen, sondern vom Orgelbauer selbst angefertigt worden waren, wiesen billigste Materialqualität auf und entsprachen nicht dem Qualitätsstandard des Orgelbauhandwerks in der Zeit um 1972. Windkanäle waren aus Spanplatten zusammengenagelt; große Pfeifen mit überschüssigen Elektrodraht angebunden worden. Die Verlegung der Leitungen für die elektropneumatische Registersteuerung hatte erhebliche Sicherheitsmängel. Und selbst die Befestigung der Türen zur Spielanlage waren so dürftig, dass ein Schreinerlehrling dabei locker durch die Zwischenprüfung gerasselt wäre...
Nachdem sich die Kirchengemeinde im gleichen Jahr zu einem Orgelneubau entschlossen hatte, konnte im September 2008 ein Verfahren zur Angebotseinholung, gemäss der landeskirchlichen Orgelpflegeordnung, eingeleitet werden. Insgesamt vier bewährte Orgelbaufirmen wurden angefragt. Von den eingegangenen Angeboten erhielt die Orgelbauwerkstatt Friedrich Tzschöckel aus Althütte-Fautspach von der Kirchengemeinde den Zuschlag. Firma Tzschöckel hatte das alte Instrument bereits seit längerer Zeit - so gut dies eben ging - zuverlässig gewartet und gestimmt. Die Disposition (= Klangaufstellung) der neuen Orgel, die in enger Abstimmung zwischen der Kirchengemeinde, ihren Organisten, dem Bezirkskantor und dem Orgelsachverständigen erarbeitet worden war, umfasst 27 klingende Stimmen (= Register), verteilt auf zwei Manuale und Pedal. Vier der bisherigen Register konnten (überarbeitet) in die neue Orgel übernommen werden. Das Instrument hat sogenannte Schleifladen mit rein mechanischen Ton- und Registertrakturen.
Wie bei den beiden Vorgängerinstrumenten wurde auch jetzt die historische Prospektfront von 1791 wieder verwendet; sie erhielt jedoch neue Prospektpfeifen aus Zinn, da die Pfeifen von 1972 instabil waren. Von einer Rekonstruktion der gesamten, einmanualigen Orgel nach dem Vorbild von 1792 wurde jedoch bewusst abgesehen. Dies wäre zwar möglich gewesen, hätte jedoch nur dann einen Sinn ergeben, wenn noch weitere Teile oder Pfeifen aus dieser Zeit erhalten wären, was aber nicht der Fall war. So zeigt sich die neue Orgel aus dem Jahre 2009 als ein sehr vielseitiges, den Gottesdienst in der Fülle seiner Klangfarben enorm bereicherndes Instrument unserer Zeit. Möge die neue Großbottwarer Orgel in ihrer nunmehr wieder sehr hohen Bauqualität der Kirchengemeinde künftig möglichst lange erhalten bleiben und ihr in Freud und Leid eine treue und zuverlässige Begleiterin und Verkündigerin sein.
Kirchenmusikdirektor Burkhart Goethe
Orgelsachverständiger der Evangelischen Landeskirche Württemberg
Informationen des Orgelbaumeisters
Als ich in der Evang. Martinskirche Großbottwar die Orgel von 1972 zum ersten Mal besichtigte, fiel mir sofort die Unstimmigkeit zwischen der schönen Fassade des historischen Gehäuses und der inwendigen technischen Anlage auf.
Nach genaueren Recherchen und der Untersuchung von minimal sichtbaren Spuren an der vorhandenen historischen Substanz stand für mich fest, dass das neu anzufertigende Instrument einen freistehenden Spieltisch mit Blickrichtung zum Altar bekommen musste, um annähernd dem Stand von 1791 zu entsprechen.
Die besondere Herausforderung beim Bau dieser Orgel bestand darin, Konstruktion und Aufteilung der technischen Anlage so anzulegen, dass der auf der Empore zur Verfügung stehende Platz optimal ausgenutzt wird, jede einzelne Pfeife genügend Raum zum "Sprechen" hat und die Zugänglichkeit zum Stimmen gewährleistet ist.
Erschwerend kam der geringe Abstand zwischen Emporenboden und Stuckdecke von nur 4,02 Metern hinzu.
Diese Tatsache erforderte den Einsatz etlicher orgelbautechnischer Kunstgriffe, um die großen Pfeifen überhaupt unterbringen zu können.
Da das historische Gehäuse wegen früheren Anobienbefalls recht geschwächt war, musste aus statischen Gründen ein stützendes Korsett in das Untergehäuse eingefügt werden.
Zahlreiche Fehlstellen am Gehäuse wurden ergänzt.
Außerdem rekonstruierten wir die tragenden Gurtkränze und die Rückwand. Diese Teile waren in der Vergangenheit herausgeschnitten worden.
Das Instrument wurde als Opus 376 in unserer Werkstatt in Althütte-Fautspach gebaut, die Ende 1972 von meinem Vater Reinhart Tzschöckel (1939-2003) gegründet wurde.
Friedrich Tzschöckel, Orgelbaumeister und Fachrestaurator
Quelle: "Jubilate" Festschrift zur Orgeleinweihung am 13.12.2009
5 · Epitaph
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Impressum
Martinskirche fotografiert am 26.11.2009
(c) 2011 Foto-Kunst Andreas Keller - Ehrenhalde 14, 70192 Stuttgart
Auf Kirchen-Online veröffentlicht am 27.12.2011
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